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"...der Bach wurde zum Strom – zum Meer!"Das Katastrophenhochwasser des Speyerbaches in Neustadt von 1882--Eine Materialsammlung von Dokumenten aus dem Stadtarchiv Neustadt--Im Stadtarchiv Neustadt gibt es eine dicke Akte über die Hochwasserkatastrophe Hochwasserbildergalerie 1882/1920/1922Dokument 4952-1Die Wassernoth vom 25. November bis zum 1. Dezember 1882 betreffend Zum ewigen Gedächtniß jener für die Stadt Neustadt so ereignißvollen Katastrophe vom 29. November 1882 sei hiermit Folgendes zu den Daten der Stadtbehörde von Neustadt constatiert: Das ganze Jahr 1882 war ein Jahr des regens zu nennen. Frühjahrs wie Sommers brachten Niederschläge auf Niederschläge und ebenso machte auch der Herbst keine Ausnahme. Kaum daß es möglich war die feldfrüchte trocken nach Hause zu bringen, und die Weinlese vorzunehmen, so unverdrossen spendete Jupiter ..... aus seinem nicht enden wollenden Füllhorn. Die Erde war sohin bis zum Überfluß mit Wasser gespeichert und es bedurfte nur des kleinen Schneefalles in den Gebirgen, wie es gegen Ende des Novembers eintrat um Überschwemmungen herbeizuführen, sobald der Schnee schmolz. Die Inundation trat dann auch sehr schnell ein. Am 24. November gingen schon die niedrigst gelegenen Theile der Vorstadt unter Wasser, wie die Mandelgasse, Seilerbahn etc. Am Samstag den 25. November gegen Abend machte sich auch schon das Wasser auf dem Marktplatz vor dem Stadthause bemerkbar, indem es von der Stadtmühle vor drang. Der Bach schwoll immer mehr an; in der Nacht vom Samstag zum Sonntag, also vom 25. zum 26. November überschritt er an verschiedenen Orten sein natürliches Bett und brauste durch die Straßen. Der Bach wurde zum Strom – zum Meer!— In der Nacht vom Samstag gingen alle Familien, in den Niederungen des vorstädtischen Gebietes mit ihrem Viehe flüchtig, so insbesondere die Mandelgasse; viele Menschen und vieles Vieh gab es noch in jenem Stadttheile zu bergen und es wurde darin Heldenmüthiges geleistet. Es war nur ein Privatboot vorhanden und mit diesem wurde die Rettung bewerkstelligt. (Von August Oehlert, sowie Schiffsbauer Haßelberger, siehe Dokument ) Am Sonntag früh war so zu sagen die ganze Stadt überschwemmt; frei vom Wasser war nur noch die ganze Friedrichstraße, die Landauer = und Maximilianstraße, der alte Weg -, die Rittergartenstrasse, noch theilweise die Austerlitzstrasse, überhaupt diejenigen Stadttheile, welche am höchsten gelegen waren. Die Hauptstraße war frei vom Strohmarkt her bis zu Baer und Christmann – (nicht zu lesen, Anmerkung MG) und vom Brand-Klein in der oberen Hauptstraße aufwärts. Vorerst wurden mit Flössen, die man in der Eile contruirte, Menschen ans Land gesetzt und Nahrungsmittel ausgefahren. Das Wasser wuchs von Stunde zu Stunde, so daß schon Sonntag Abend gegen 8 Uhr das Wasser von der Kellereistrasse heraus und in die Friedrichstrasse trat. Bis Montag früh war auch der größte Theil der Friedrichstrasse überschwemmt, so daß man auch dort schon mit dem Kahn verkehren konnte. Jetzt war die Stadt Neustadt ein einziger See. Die Nacht war erhellt, mit den noch von der Nacht zuvor brennenden Gaslaternen und so glaubte man sich nach Venedig versetzt.- - - Montag Mittag kamen telegraphisch herbeigerufene Soldaten vom Pionierbattallion No. 2 (von Speyer) unter Commando ihres Vizefeldwebels Herrn Carl Großmann. Telegramme betreff Pionierbattallion Speyer Von nun an ging es lebhaft zu. Die Stadt wurde systematisch nach beigeheftetem Plan von 2 Seiten aus – nämlich vom Strohmarkt und vom Spital aus mit Kähnen befahren und die in der Stadt in ihren sicheren Wohnungen gefindlichen Einwohnern – natürlich war alles in die oberen Stöcke geflüchtet, -verproviantirt. Jedes Boot wurde am Landungsplatz (Stohmarkt oder Spital) mit den nöthigsten Lebensmitteln, als Brod, Fleisch, Milch, Kartoffeln sowie sowie Kohlen ausgerüstet und dann liefen die Boote aus, in die verschiedenen Strassen. Zurückkehrende Boote brachten ärmere Familien ans Land, die in weniger sicher gebauten Häusern wohnten. Die Bürgerschaft die in ihren Häusern zurückblieb, wurde auf diese Weise aufs beste versorgt und es wurde sohin alle Noth gesteuert. Die Lebensmittel wurden von den Bewohnern der Häußer von den Booten in Häfen und dergleichen an Tauen emporgezogen. Die Verproviantierung wurde so gerecht ausgeführt, daß selbst den Bürgern auf Wunsch durch die Boote Lichter und sonstiges Beleuchtungsmaterial zugeführt wurden. Ein Beispiel illustrirt die Sache am Besten, wenn erwähnt wird, daß der Herr Feldwebel Grohsmann einem alten Schustermeister „seinen unentbehrlichen Schnupftabak“ per Boot brachte. „Ich muß sterben“, ruft der alte Schuster „wenn ich meinen Schnupftabak nicht habe“. „Das sollt ihr nicht“ meint Grohsmann! Und mit dem nächsten Boote bringt er ihm – seinen Tabak! - - - Immerhin ist es ein Wunder zu nennen, daß bei dieser Katastrophe keine Menschenleben zu Grunde gingen, wenn man bedenkt, wie hoch überall das Wasser stand und mit welcher Macht es daher brauste, wie z.B. in der Vorstadt, in der Stangenbrunnengasse, Landschreibereigasse, Stadtgasse u.s.w. Die Beobachtung wurde u.A. gemacht, daß bei Brückenbauten man darauf achten muß, daß diese Bauten derart massiv sind, daß sie den anstürmenden Wassern zu widerstehen vermögen und auch die Brückengeländer fest construiert sind. Man konnte z. B. oft beobachten, wie Boote von den Strömungen an Brückengeländer geworfen wurden und die Bemannung nur dadurch nicht in den Fluß gerissen wurde und dem sonst sicheren Tode entging, daß die Brückengeländer stand hielten. Aus diesem Grunde sollten auch Brücken nie ohne feste Geländer sein. Die ärmeren Einwohner waren während dieser Schreckenstage theils im Saalbau, theils im Hetzelstift, auf dem alten Schießhause bei Deidesheim und in Privatwohnungen untergebracht. Am Mittwoch abend begannen die Massen zu verlaufen, denn schon an jenem Tage ging schon der Wasserstand in der Friedrichstraße sichtlich zurück. Am Donnerstag Früh konnte man schon per Wagen die Hauptstraße passieren; der Verkehr war dadurch wieder ins Leben getreten, denn nur noch einige Straßentheile waren noch unter Wasser, als Vorstadt, als Metzgergasse.. Diese letzteren Straßen mußten noch Donnerstag mit Booten befahren werden. Zu erwähnen ist noch, daß auch Schiffe aus Frankenthal, Kaiserslautern und Speyer zur Hilfe hierher geschickt wurden. Noch
wochenlang nach jener Katastrophe wurden die ärmeren und am meisten
bedürftigen Bewohner der Stadt, im Hetzelstift auf Anordung der städtischen
Behörden mit Lebensmitteln und Kohlen versorgt. Neustadt im Dezember 1882 |
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