| |
Der Speyerbach als Ansiedlungslinie für Industrie
Ein Rückblick ins 19. Jahrhundert anhand einer Karte des
kgl.-bayr. Katasteramtes von 1878
Blaue Pfeile bedeuten aktive Spots, einfach draufklicken!
Quelle des untenstehenden Textes: Neustadt an der
Weinstraße, Beiträge zur Geschichte einer pfälzischen Stadt, Hrg.: Stadt
Neustadt/Weinstraße, 1975, Autor des Artikels: Paul Habermehl
"Bedeutende Industriezweige am Speyerbach einst und
heute
Von wirtschaftlicher Bedeutung war bis zur
Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem Neustadts Mühlengewerbe, das sich dank
der Wasserführung des Speyerbaches hier angesiedelt hatte und schon im
Mittelalter unter besonderer Kontrolle der Stadtverwaltung im Interesse der
Ernährung und der Steuererhebung stand: Die Kunden waren durch Mahlzwang
und Mühlenbann auf eine bestimmte Mühle verpflichtet, ein Regulativ, das
Gewinn und Anzahl der Mühlen auf ein bestimmtes Maß beschränkte. Obwohl
der 1789 eingeführte Grundsatz der Gewerbefreiheit auch im Mühlengewerbe
nicht ohne Folgen blieb, da die Beschränkungen der Mehlfabrikation
aufgehoben wurden, kam es nicht zu einem bedeutenden Strukturwandel in der
handwerksmäßigen Kunden- und Lohnmüllerei. Erst die Verbesserung der
Verkehrsverhältnisse und das Anwachsen der Städte zu Industriezentren
durch die fortschreitende Landflucht leitete den Strukturwandel dieses
Gewerbezweiges ein.
Die Erfindung der Dampfmaschine machte das Mühlengewerbe
standortunabhängig und befreite es somit von der Stillegungszeit bei
Wasserknappheit. Wachsende Ansprüche der Kunden und moderne Maschinen,
eiserne Walzenstühle an Stelle des Mühlsteins und Sicht -und Putzmaschinen
führten zu einer wesentlich größeren Produktivität und
Qualitätsverbesserung der industriell betriebenen Handelsmüllerei, welche
die Lohnmüllerei auf Handwerksbasis schließlich völlig verdrängte.
Infolge dieser Neuerungen erfolgte die Verlagerung der Mühlenindustrie in
die Nähe der wichtigsten Wasserstraße Deutschlands, an den Rhein.
Waren 1830 noch 12 Mahlmühlen und 5 Ölmühlen in Neustadt ansässig, so
verringerte sich ihre Zahl beständig: 1891 waren es noch 12, im Jahre 1905
8 und 1920 noch 5. Zwei dieser Handelsmühlen wurden in den folgenden Jahren
durch einen großen Konzern aufgekauft, schließlich aber in Anbetracht
seiner standortmäßig günstiger gelegenen Großbetriebe am Rhein
stillgelegt. Schon 1938 war die Mühlenindustrie wie heute mit nur noch 1
Mühle am Ort vertreten.
Ebenfalls wie die Lohnmüllerei, die Mehl- und auch Ölerzeugung, waren auch
zwei weitere alte Industriezweige Neustadts von der Wasserkraft abhängig,
die Papier- und die Textilindustrie. Auf große Tradition kann die
Textilindustrie zurückblicken. Großen Einfluß auf die Einführung der
Textilindustrie, besonders der Tuchfabrikation hatten die in den Jahren 1566
bis 1569 ins Neustadter Tal eingewanderten, wegen ihres Glaubens verfolgten
Wallonen. Als gelernte Tuchmacher brachten sie diesen Handwerkszweig nach
Lambrecht. 1570 entstand die erste Walkmühle, der bald weitere folgten.
1792 wurde im Schöntal bei Neustadt der erste Betrieb eröffnet.
Der Übergang vom Tuchmacherhandwerk zur fabrikmäßigen Fabrikation hatte
schon in den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts seine ersten
Anfänge, als Walkmühlen auf genossenschaftlicher Basis betrieben wurden.
Als die Dampfmaschine 1856 die Wasserkraft ersetzte und der mechanische
Webstuhl, wenn auch später als in anderen Tuchindustriezentren, Eingang ins
Neustadter Tal fand, war der Schritt zum Fabrikbetrieb vollzogen.
In den Jahren 1877 bis 1889 erreichte dann der
Industrialisierungsprozeß seinen Höhepunkt:
9 Volltuchfabriken in Lambrecht, 1in
Neustadt. Letztere erreichte große Bedeutung. Als Werk mit eigener
Wäscherei, Färberei, Spinnerei, Zwirnerei, Weberei und Appretur
beschäftigte es zeitweise mehr als 300 Arbeiter und Angestellte. In den
60er Jahren bis 80er Jahren konnte gar ein bedeutender Export des Werkes vor
allem nach Nordamerika erreicht werden.
Neben einer mittelgroßen Strick- und Wirkwarenfabrik mit 134
Arbeitskräften, deren Ursprung im Jahre 1852 auf die Erfindung der
Rundwirkmaschine zurückgeht und deren Produktion vorwiegend auf
Unterwäsche aus verschiedenen Materialien spezialisiert ist, sind noch eine
Streichgarnspinnerei mit 50 und eine Mechanische Weberei mit 39
Beschäftigten und 2 Kleinbetriebe, in welchen insgesamt 12 Personen sich
mit der Fabrikation von Hosen, Röcken, Schürzen und Berufskleidung
befassen, in Neustadt ansässig.
Ein weiterer Industriezweig, die Papierindustrie Neustadts, welche zu den
ältesten Industriegründungen gerechnet werden muß, hat im Laufe seiner
Geschichte ebenfalls bedeutende Wandlungen erfahren. Bereits 1669 wurde im
Schöntal - heute ein Stadtteil -eine Walkmühle in eine Papiermühle
umgewandelt. Als diese 1744 abgebrannt war, sicherte ein kurfürstliches
Dekret dem Wiedererbauer kostenloses Baumaterial und Freiheit von allen
Diensten und Einquartierungen zu sowie die alleinige Konzession für
Papierherstellung und Vorkaufsrecht auf seine Rohstoffe, nämlich Lumpen.
Dafür hatte er immer für gutes und billiges Papier zu sorgen. Entscheidend
für die Konzentration der pfälzischen Papierindustrie in und um Neustadt
(6 von 9 Großbetrieben in der Pfalz um die Jahrhundertwende) war also nicht
etwa der reiche Holzvorrat der ausgedehnten Wälder des Pfälzer Berglandes,
denn Papier wurde in der Anfangszeit nicht aus Holz bzw. Zellulose, sondern
aus Hadern bzw. Lumpen hergestellt. Der wichtigste Grund zur Ansiedlung im
engen Neustadter Tal war die Wasserkraft des Speyerbaches, die zum Antrieb
der Stampf- und Mahlwerke benötigt wurde, erst in zweiter Linie spielten
billige Arbeitskräfte eine Rolle.
Der Übergang vom handwerksmäßigen Büttenbetrieb zur industriellen
Papierfertigung erfolgte bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Zwar waren wassergetriebene Stampfwerke, holländische Mahlwerke und
chemische Bleichen schon um die Jahrhundertwende im Gebrauch, aber erst die
Aufstellung der ersten mechanischen Papiermaschinen nach 1829 ermöglichte
die fabrikmäßige Papierproduktion sowie die Umstellung der Rohstoffbasis
von Lumpen zu Holzschliff und Zellulose. 1830 besaß so Neustadt an der
Weinstraße 6 Papiermühlen und 3 Buntpapierfabriken. Unter dem Druck der
internationalen Konkurrenz kam es besonders in den ersten 3 Dekaden des 20.
Jahrhunderts zum Zusammenschluß zu wenigen Großbetrieben, die durch
Spezialisierung ihre Stellung auf dem Markt behaupten konnten.
1974 stellte dieser Industriezweig ein wichtiges Element in Neustadts
Wirtschaft dar: Mit 437 Beschäftigten war das einzige Unternehmen der
Branche zum größten Betrieb Neustadts avanciert."
| |
|