Der künstliche Bach
               
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Die besondere Geschichte des Speyerbaches

Artikel von Dr. Heinz Schimpf, in: Jahresberichte des Nikolaus von Weis Gymnasiums, Speyer (1966, 1972, 1975, 1978, 1983), mit freundlicher Genehmigung des Autors

Karten digital überarbeitet von M. Grund

Entstehung

Der Speyerbach hat eine höchst ungewöhnliche Geschichte. Fast sein gesamter Lauf ist stark durch den Menschen geprägt, und zwar nicht erst seit der Neuzeit durch Begradigung, sondern schon seit mindestens 1000 Jahren, höchstwahrscheinlich allerdings sogar schon seit der Römerzeit. Der „Speyerbach" (er heißt vor Speyer „Gießhübel", in Speyer ,, Stadtbach", heute ist er auf den topografischen Karten allerdings durchweg als Speyerbach eingetragen) ist eines der Rätsel der Geschichte dieser Region. Schriftliche Zeugnisse über seine Existenz reichen zwar bis ins Mittelalter zurück, seine Entstehung jedoch liegt im Dunkel der Frühgeschichte. Der Bach ist zweifach künstlich geteilt, nämlich beim Winzinger Wassergescheid in Neustadt, wo der Rehbach abgezweigt wird (1/3 des Wassers fliesst hier nach Nordosten ab) und beim Hanhofer Wassergescheid, wo der Bach in Woogbach (2/3 des Wassers) und Speyerbach (1/3 des Wassers) geteilt wird. Beide fliessen kurz vor der Mündung in den Rhein allerdings wieder beim Holzmarkt im Altstadtbereich von Speyer zusammen. 

Man muss hier allerdings deutlich differenzieren: Der Lauf des Baches ist bis mindestens Neustadt/Weinstrasse im gesamten Bereich des Pfälzerwaldes als prinzipiell natürlich anzusehen, der gesamte Verlauf im Bereich der Rheinebene ist wohl mehr oder weniger artifiziell. wenn im weiteren über Theorien seiner Entstehung geschrieben wird, dann bezieht sich das ausschliesslich auf den Lauf des Baches auf den letzten 20 Kilometern, ca. ab der Höhe von Geinsheim.

Theorien zur Entstehung des Speyerbaches

Soweit die Zeugnisse zurückreichen, hat man den Speyerbach immer als künstlich empfunden. In der Diskussion über seine Entstehung zeichnen sich im wesentlichen drei Theorien ab.

Theorie 1

Bau durch die Römer

Schon Christoph Lehmann führt in seiner „Chronika der freien Reichsstadt Speyer" (1652),,die" Bach auf die Kunstfertigkeit der Römer zurück: Die „Teutschen" (d. h. die Germanen), so begründet er seine Ansicht, hätten „sich mit solcher Bemühung zu beladen und mit großer Arbeit solche Wasserleitung anzustellen / für eine Unehre und ihrer Freiheit verkleinerlich ermessen / wie sie dann vom Ackerbau und allerhand Arbeit ein Scheuens (Abscheu) gehabt . . . Die Römer aber haben zu solchen nützlichen Wasserleitungen sondere Lust und Neigung gehabt / und der Bach aussin Gebirge einen Graben und Gang auf und durch die Stadt geführet".

Zu den Vertretern dieser Theorie gehören auch C. Weiss, der den Rehbach für das eigentliche Bett des Speyerbaches hält , und J. Weber, der jedoch die Möglichkeit offenläßt, daß auch die Franken den Bach abgeleitet haben könnten.

Theorie 2

Bau durch die Franken

Hiermit ist bereits die zweite Theorie angedeutet; ihre Verfechter neigen zu der Ansicht, die Franken hätten den Kanal gebaut. Dieser germanische Volksstamm besetzte, von Norden kommend, unser Gebiet im 6. Jhdt. n. Chr. Die Alemannen, die es seil dem Abzug der Römer (Anfang 5. Jhdt.) besiedelt halten, wurden nach Süden verdrängt. In der Nähe der von den landnehmenden Germanen zerstörten römischen Stadt Civitas Nemetum gründeten die Franken ein Dorf, dem sie den Namen „Spira" gaben. Der Name soll von dem Bach stammen, an dessen Mündung in den Rhein das Dorf lag (etwa im Gelände des heutigen Bahnhofs, der Rhein floß damals in einer Schleife am Hochufer entlang, unterhalb der heutigen Bernharduskirche also). Das Wort wäre, nach dieser Theorie, gebildet aus ahd. spiwan = speien (auch als spiran zwar nicht belegt, aber aus mhd. spiren zu erschließen) und dem uralten Namenssuffix -aha =(fließendes) Wasser, urverwandt mit lat. aqua == Wasser. „Spiraha" hieße also „heraussprudelndes, herausgespieenes Wasser", wobei die Quelle, also dem Flüßchen den Namen gegeben hätte. Wie zahlreiche andere uralte Siedlungsnamen, wie etwa Fulda, Bebra, wäre Spiraha - Spira - Spire - Speir - Speier demnach einer der sog. Gewässernamen, wie sie in der Zeit vor der Landnahme der Völkerwanderung von den Germanen mit Vorliebe verwendet wurden (von diesem Dorf „Altspeier" ging dann der Name auf die aus den Ruinen der Römerstadt wieder aufblühende Siedlung „Neuspeyer" über). Es lag natürlich nahe, von dem Namen des Dorfes aus weitere Schlüsse zu ziehen auf den Bach: Wenn er dem Dorf den Namen gegeben hat, muß er mindestens so alt sein wie dieses selbst. So hat, wohl als erster, der badische Geschichtsforscher Fr. J. Mone die Franken zu Bauherren des Speyerbaches erklärt. Er datierte den Bau in die 2. Hälfe des 9. Jahrhunderts. Diese Ansicht wurde schon bald von dem bedeutenden Speyerer Germanisten und Keltisten C. Zeuss verbessert. Dieser konnte sich auf den sog. Geografen von Ravenna berufen, der in einer Art geographischem Handbuch den Namen Spira, zusammen mit anderen Städten am Oberrhein, erstmalig erwähnt. Er hätte, so glaubte man damals, dieses Handbuch unter Karl dem Großen aus verschiedenen älteren Schriften zusammengetragen, jene Stelle mit dem Ortsnamen Spira sollte aus einem Werk eines gotischen Schriftstellers Alhanarid stammen, der im 6. Jhdt., gelebt hätte, also ein Zeitgenosse unserer Franken gewesen wäre. Die Forschung hat inzwischen diese Angaben im einzelnen revidiert: Der Ravennate lebte nach heutiger Ansicht nicht im 8. sondern im 7. Jhdt. Der Gewährsmann Alhanarid ist nicht nachzuweisen und vermutlich erfunden. Doch gilt als ziemlich sicher, daß der Geograph eine Karte aus dem 5. bis 6. Jhdt. als Quelle für seine Schrift verwendet hat (nach: Paulys Realenzyklopädie der klass. Altertumswissenschaften I I/I 1920, S. 305 ff). Auch die Zeuß’sche Deutung des Namens vom „spirbaum" (Speierbaum) her, zu der ihn die Schreibung sphira veranlaßte, kann als überholt angesehen werden. Doch bleibt sein Nachweis des fränkischen Dorfes für das 6. Jhdt. gültig und ist auch heute noch der Angelpunkt der Herleitung und Entstehungsgeschichte der Stadt Speyer, zumal man , neuerdings eine schriftliche Bestäti­gung der Zeuß’schen Annahme gefunden hat: In den „Notitia Galliarum" aus dem 6. Jhdt. und im Zusammenhang mit der ersten Erwähnung eines Speyerer Bischofs in den Akien des Pariser Konzils von 614 wird die Civitas Nemetum bereits „Spira" genannt.

Theorie 3

Bau im 11. Jahrhundert als Transportweg zum Dombau

Eine dritte Theorie schließlich besagt, daß der Speyerbach gegraben worden sei, um das Material für den Dombau vom Gebirge heranschaffen zu können, also im 11. Jahrhundert. Zu dieser Version bekennen sich der Archäologe Fr. Sprater  und der Domforscher Fr. Klimm.



Der Befund im Gelände: Ein Bach für Speyer

Diese Theorien haben zweifellos einen Kern Wahrscheinlichkeit, doch stützen sie sich zu ausschließlich auf historische Zeugnisse, ohne den Befund im Gelände zu Hilfe zu nehmen. Der Bach schneidet die Quertäler des Modenbaches und des Hainbaches (Beweis für die Künstlichkeit der Anlage). Dabei wurde der Lauf des ersten zwischen Harthausen und Hanhofen (da, wo er die Straße quert) scharf nach Süden gelenkt. So konnte er an dem ein wenig höher gelegenen Hang entlanggeführt werden. Nur so war es möglich, den Modenbach in den höher gelegenen, auf einem Damm des Wiesental querenden Speyerbach zu leiten. Das verwaiste Bett des Modenbaches wird teilweise vom „Allmendgraben" benutzt, der in einer Dole unter dem Speyerbach hindurchgeführt ist und als ein etwas müder Ersatz im verlassenen Modenbachtal Richtung Dudenhofen fließt.

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Übersicht des ungewöhnlichen Bachverlaufs

Detail Neustadt

Detail Hanhofen Detail Speyer
Kartendesign M.Grund

Nicht so einfach war das Problem beim nächsten „Querbach" zu lösen, dem Hainbach. Er lag zu tief, daher konnte er nicht in den Kanal geleitet werden. So führte man ihn kurz vor Dudenhofen in der „Zwölfmannsdole" unter dem Speyerbach hindurch (der Name deutet auf die zwölf Erbpächter des nahegelegenen Maulbronner Klosterhofes: sie mußten die Dole instandhalten) - (nach Ph.Fauth, Hydrographisches vom Speyerbache, Pfälzische Heimatkunde, 1905). Als „Krebsbächel" durcheilt er Dudenhofen und mündet auf dem schnellsten Weg in den Woogbach.

Das sind wertvolle Hinweise, doch lösen sie noch nicht „das hydrographische Rätsel des Speyerbaches", wie Ph. Fauth meinte. Hierzu kann die genaue Beobachtung einiger einfacher Gesetzmäßigkeiten beitragen, wie sie jedes Gewässer hat: etwa, daß es fließen, d. h. Gefälle haben muß; Wasser fließt nicht bergauf und nicht über Berg und Tal. Und es hinterläßt Spuren seiner Arbeit, seines Fließens, im Gelände. Im Gelände kann man eine Reihe von „Gesetzwidrigkeiten" festgestellt werden, und gerade aus ihnen läßt sich nicht nur mit Sicherheit auf die Künstlichkeit großer Teile des Bachsystems schließen, sondern auch auf einige genauere Einzelheiten der Entstehung, die man bisher nicht kannte oder nur vermutete.

Wenn man die Gefällekurven der beiden Bäche vergleicht, so fällt auf, daß der Bach vor der Gabelung mit normalem Gefälle ankommt, nach der Trennung aber der „Woogbach" geradezu absackt, während der „Speyerbach" in gleichmäßig sanftem Gefalle zum „Gießhübel" geleitet ist, vom Stadtrand, dem Hochufer ab allerdings in steilem Fall den Höhenunterschied bis zum Rhein sozusagen nachholt (8m auf 2km!).

Dieses auffällige Verhallen des Woogbaches kann verschiedene Ursachen haben. Erstens wurden vor der Anlage des künstlichen Kanals drei vom regenreichen Gebirge herkommende Bäche in diesem Tal aufgefangen. Dieses war also früher eigentlich nur der gemeinsame Unterlauf der drei Querbäche, halte zudem eine tiefere Erosionsbasis, die Rheinniederung, und wurde deshalb stärker herausrodiert als andere Bäche dieser Gegend. Er hat sein schönes Tal also nicht allein so tief ausgewaschen. Es gibt aber noch eine zweite Theorie. Der auffällige Gefälleknick ab dem Hanhofer Gescheid (den ein Bach normalerweise durch „rückschreitende Erosion" im Laufe der Zeit ausgleicht!) könnte darauf hindeuten, daß der Altbach früher gar nicht über dieses Tal geflossen ist (denn nur er kommt ja dafür in Frage, der „Speyerbach" ist ja künstlich). Man vermutet, daß der Altbach ursprünglich nach Südosten geflossen ist und sich mit dem Modenbach vereinigt hat. Vielleicht wurde er wie dieser an den künstlichen Kanal herangeleitet (von den Römern?) und erst später wieder getrennt—als man Wasser brauchte, für die Hanhofer Mühle etwa (im Mittelalter).

Der Autor am Hanhofer Wassergescheid: Rechts der Speyerbach, links der Woogbach, siehe auch Video

Man brauchte ja nur einen Teil des Wassers in jenes auch heute noch zunächst nur schluchtartig eingetiefte Nebentälchen zu leiten, das mit einem kleineren Bach in Richtung Speyer lief und etwa auf der halben Strecke Hanhofen—Dudenhofen in das Modenbachtal mündet. Im Gelände erscheint letzteres auch heute noch etwas tiefer an dieser Stelle (also Haupttal?). Und wahrhaftig: Wenn man auf der Straße nach Geinsheim steht, am westlichen Ortsausgang von Hanhofen, und den heutigen Woogbach vom Gescheid her über eine flache Höhe herüberziehen sieht, in einem wenig überzeugenden, schmalen, etwa um ein halbes Meter in den östlichen Abhang der besagten flachen Höhe eingetieften Wiesenstreifen (also nur an einer Seite ein „Talhang"!), spürt man berechtigte Zweifel, ob da alles stimmt.

Diese flache Höhe hat es überhaupt in sich! Sieht man von ihr nach Norden, so erlebt man eine neue, noch größere Überraschung: Das Gelände fällt sachte, aber stetig ab in eine weite, urstromhafte Talsenke, die in das ausgedehnte Waldgebiet hineinzieht, Richtung Nordost, Als ich zum ersten Mal quer in diese Senke hineinfuhr und auf die Höhe zurücksah, auf der die Bäche sich trennen, kam mir unwillkürlich der Gedanke: dies muß das eigentliche Haupttal des ganzen Systems sein! Es ist in der Tat nichts anderes als die Fortsetzung jenes ungewöhnlich breiten, flachen Aufschüttungstals, in dem der Speyerbach, von Neustadt kommend, gewaltige Schuttmassen aus dem Neustadter Tal abgelagert hat (wie auch in dem heutigen Waldgebiet). Dieses auch landschaftlich sehr eindrucksvolle Tal kann doch nicht einfach verschwinden! Aber es kann ihm unter der Hand plötzlich sein Bach gestohlen werden!

Des Speyerbachs-Rätsels Lösung:

Nach Meinung der führenden Historiker und Geografen, die sich mit dem "Speyerbachproblem" auseinandergesetzt haben, ist dies tatsächlich die verblüffend einfache Lösung des ganzen Rätsels : Der heute Speyerbach genannte kleine Fluß ist nachweislich schon zwischen Geinsheim und der Aumühle aus seinem Bett heraus und in einem scharfen Knick (siehe auch Kartenmaterial oben, Detailkarte Hanhofen) nach Süden geleitet worden, und zwar genau da, wo der „Ersatz" dieses abtrünnigen Baches, der Ranschgraben, in einem, verzweigten Netz von Wiesengräben seine Wasser sammelt, um in dem verlassenen Tal jenes Baches X (nennen wir ihn einmal so) südlich an Schifferstadt vorbei rheinwärts zu ziehen. Der seinem Tal untreu gewordene Bach läuft, hier schon auf einem deutlich ausgeprägten Damm, auf den Nordhang jenes Höhenrückens zu, an ihm entlang, so daß er die Höhe queren kann, um den Hügel an der heutigen Aumühle glattweg zu durchqueren (hier allerdings braucht er den Damm nicht mehr, ist im Gegenteil um etwa ein Meter eingelassen). Man kann nur staunen: Die kunstfertigen Erbauer haben es fertiggebracht, den Fluß aus seinem angestammten Tal zu entführen und ins Nachbartal hinüberzuleiten .

Eine schematische Darstellung, wie der Speyerbach höchstwahrscheinlich zu seinem ungewöhnlichen Verlauf auf den letzten 20 Kilometern kam. Karte digital bearbeitet von M.Grund

Der Speyerbach hütet sich aber, in das neue Tal „abzuzuhauen": er bleibt am Südhang (er ,,hangelt" sich weiter), schön sein vorsichtiges Gefalle einhaltend, bis zum Gescheid, wo er den Altbach aufnehmen kann und fliesst dann zum nächsten Hang, klug mit Gefälle haushaltend, quert das erste der Quertäler, mit dessen Bach er seinen Wasservorrat auffrischt (Modenbach s. o.). Am Hang dieses Tals, einer flachen, z. T. bewaldeten Höhe, hält er sich auf der Höhe, dann muß er wieder auf den Damm, aber der nächste rettende Hügel ist schon in Sicht. Und nun vollführt der Bach, wie zum krönenden Abschluß, ein tolles Stückchen: er quert dreimal das Tal des Hainbaches, wobei er die Talhänge wechselseitig ausnützt und die Talschlingen auf Dämmen überwindet. Da kann man nur den Kopf schütteln, nicht nur der vielen Schnaken wegen! Bei der ersten Querung versperrt der Damm regelrecht das Tal. Und wo bleibt der Bach? Man hat ihm einen 2—3 Meter tiefen Graben durch den Hügel gezogen, um den er früher herumfloß. Die verwaiste Talschlinge zeichnet sich hinter dem Damm noch deutlich im Gelände ab, bis zu der Stelle, wo der Damm sie zum zweiten Mal durchquert, auf den Nordhang des Tals zustrebend. Kurz vor Dudenhofen kommt ihm das Tal zum drittenmal in die Quere, und er läßt den Hainhach in der Zwölfmannsdole unter sich hindurchfliessen. Jetzt hat der Bach die leicht gegen das Hochufer ansteigende Fläche vor Speyer erreicht, in die er sich mehr und mehr eintiefen muß. Er hat es geschafft. Wer die geradezu raffinierte Zielstrebigkeit dieser Anlage, ihre Geschicklichkeit in der Ausnützung des Geländes, einmal genau beobachtet hat, muß sie bewundern und kann nur staunen über die Intelligenz der Erbauer. Am Ende hat doch der alte Ch. Lehmann in seiner schulmeisterlich gewundenen Ausdrucksweise das Richtige gesagt: So was können nur die größten Wasserkünstler des Altertums geleistet haben, die Römer. 

Hiermit also bestätigt sich, was Ph. Fauth, der Landstuhler Lehrer und Mondforscher von internationalem Ruf (ein Mondkrater trägt seinen Namen) bereits vor 60 Jahren vermutete, aber nicht nachweisen konnte, nämlich, daß der Ranschgraben etwas mit dem „Speyerbach" zu tun hat; doch vertauschte er, offenbar in Unkenntnis des Geländes, die Rollen: Er hielt, wie das bisher üblich war, den ganzen ,,Speyerbach" für künstlich und sah einen Beweis dafür in der Tatsache, daß der Bach nicht die Gelegenheit wahrnimmt, in das Bett des Ransch überzugehen, der wie fast alle natürlichen Bäche der Rheinebene dem typischen Zug nach NO folgt. Was keine noch so alte Urkunde bekunden kann, offenbart sich durch das Relief, das die Natur (das fließende Wasser) aus dem Gelände herausmodelliert hat: Das Neben­einander zweier ursprünglich getrennter größerer Bachläufe. Das Gelände fällt langsam aber ste­tig von Südosten nach Nordwesten ab. Es ist die Stelle, wo eines der typischen Lößhügeldreiecke der linken Rheinebene (Landau-Neustadt-Speyer) in den gewaltigen Schuttfächer übergeht, den der Bach den Neustadter Tals (Bach X) in die Rheinebene vorgeschoben hat. Durch die quer dazu abgeladenen Schuttmassen des Rheins werden die Seitenbäche allgemein nach Nord-Osten abgelenkt. Dieser Richtung folgte naturgemäß auch der „Bach X", dessen Tal oben links durch den Bruchgraben angedeutet ist (späterer Ranschgraben). Der aus diesem Tal entführte Bach (heutiger Speyerbach) ist geschickt am Südrand der weilen Mulde entlanggeführt, die das zweite größere Tal, der stark erodierende Unterlauf der Querbäche (das heutige Woogbachtal) ausgeräumt hat. Dieses Tal  ist deutlich als die natürliche Fortsetzung seiner Zuflüsse zu erkennen. Sie kommen alle aus Südwesten. Eine auffallende Ausnahme macht darin, außer dem künstlichen Kanal nach Speyer, nur der Oberlauf des Woogbaches östlich Hanhofen. Möglicherweise hat der früher in diesem Tal fließende kleine Bach, rückwärts erodierend, den höher gelegenen Altbach ,,angezapft".

noch dies und das

Die Feststellung, daß der Speyerbach ursprünglich gar nicht nach Speyer geflossen ist, könnte, nach Überwindung des ersten Schrecks, einen wichtigen Anhaltspunkt darstellen für eine neue Vorstellung vom „Problem Speyerbach". Eine entscheidende Rolle könnte dabei der Gesichtspunkt der Namensgebung spielen. Denn die Frage ist : Woher kommt der Name „Speyerbach"? Kommt er von der Mündung, d.h. von dem jetzigen Woogbach (von dem man bisher munter den Namen des daran gelegenen ersten Dorfes ableitete, obwohl es doch sehr unsicher ist, ob der Bach diesen Namen {spiraha] überhaupt führte), oder kommt er von der Quelle, d. h. von jenem Bache X, der nach „Speyer" umgeleitet wurde? In beiden Fallen wäre das künstlich geschaffene Stück Kanal von Geinsheim nach dem Hanhofer Gescheid und weiter nach dem heute Speyer genannten Ort auch die Voraussetzung für die „Namensumleitung" von dem einen zum anderen Bachlauf gewesen. Wenn man den neugefundenen Wert „Umleitung" in die Gleichung einsetzt, deren Unbekannte die Entstehungszeit des künstlichen Teils des Speyerbaches ist, dann ergehen sich im wesentlichen zwei Möglichkeiten (die Mathematiker werden gebeten, es ausnahmsweise mal nicht so genau zu nehmen):

Angenommen, einer der beiden Bacharme am Unterlauf habe spiraha geheißen und dieser Name sei bachaufwärts weitergewandert und habe den vorherigen Namen des Baches X verdrängt. Dann müßte die Verbindung mit dem Oberlauf (dem Bach X) spätestens 774 erfolgt sein, denn in diesem Jahr wird in einer Urkunde des Klosters Weißenburg (im Elsaß) zum ersten Mal ein Dorf erwähnt, das an diesem Oberlauf gelegen ist (südöstlich Neustadt) und seinen Namen ebenfalls (wie auch Speyerbronn, Hochspeyer) der „Spiracha"' verdankt:

Spiradorpf = Speyerdorf. Diesen Namen konnte das Dorf ja nur annehmen, wenn der Bach schon spiraha hieß. Hiermit scheidet der Dombau als Anlaß des Kanalbaus auf jeden Fall schon aus. Es bleiben uns also noch die Franken als Bauherren des Kanals! Der Zeitraum der Erbauung wäre in diesem Fall nach unten begrenzt durch ihre Ankunft in unserer Gegend um 500 und das erste Auftauchen des Namens Spira (neuerdings auch auf merowingischen Goldmünzen nachgewiesen), nach oben durch jenen spätesten Termin der Entstehung des Namens und Dorfes Spiradorpf (bei Neustadt), also das Jahr 774. Ich wage, ohne die Geschichte der Franken daraufhin genau studiert zu haben, nicht zu beurteilen, ob sie zu einer solchen Anlage Zeit, Anlaß, Organisation und Erfahrung gehabt haben können. Die Germanen der „Landnahme" (bei uns Burgunder, Alemannen, Franken) ließen sich normalerweise an Gewässern nieder. Wozu sollten sie Kanäle bauen? Das erste Drittel des fraglichen Zeitraums wurde noch von den Wirren der Völkerwanderung beunruhigt. Da hatte man andere Sorgen. Die zweite Möglichkeit kommt mir wahrscheinlicher vor: Angenommen, der Oberlauf (Bach X) habe spiraha geheißen und diesen Namen sozusagen „im Zuge der Umleitung" (nur nicht so offiziell!) mit nach dem heutigen Speyer geführt. Dann müßten die Franken den künstlichen Bach schon vorgefunden haben, als sie ihr Dorf in der Nähe der Civitas Nemetum (=Speyer zur Römerzeit) nach dem Bach „Spira" tauften. Das bedeutete, daß die Römer den Kanal gebaut hätten. Ich neige zu dieser Annahme aus verschiedenen Gründen. Es ist leichter einzusehen, daß der Haupt­teil des Bachlaufs, der natürliche Oberlauf, den Namen (spiraha) zuerst geführt hat, den er noch heute bis in die Quellbäche führt; die beiden Arme des Unterlaufs dagegen, besonders der nördliche, haben zeitweise vertauschbare und abschnittsweise wechselnde Namen getragen (der nördliche Arm: Altbach- Woogbach - Nonnenbach- Speyerbach, den letzten Namen erst im Hasenpfuhl, wo die beiden Arme sich wieder vereinigen; der südliche Arm: Speyerbach- Gießhübelbach - Stadtbach). Vieles spricht für die Vermutung, daß der südliche Arm (der Gieshübel), der auch heute noch den Namen Speyerbach trägt, der ursprüngliche Träger dieses Namens gewesen ist, und nicht der heutige Woogbach, der diesen Namen (Speyerbach) nie recht angenommen hat, höchstens als „Altspeyerbach" gelegentlich, wobei man von ,der' „Neuspeyerbach" unterscheiden wollte. Dahinter steckt aber der „Altbach" als vermutlich ältester und ursprünglicher Name: Der heutige Woogbach ist ja nichts anderes als die Fortsetzung des Altbaches über das Hanhofer Gescheid (alt: aus einer indogermanischen Wurzel „alk", „al", keltisch ,,alt"= Sumpf, vgl. Alsfeld, Alsheim, Alzey usw. Ein richtiger, angestammter Gewässername hält sich länger als Staaten und Völker!

Die Römer verbrauchten sehr viel Wasser, besonders in ihren Bädern. Wenn die Civitas Nemetum nachweisbar ein Kastell, einige Tempel und ein Theater hatte, warum sollte sie dann nicht auch ihre Thermen gehabt haben? Sie saßen fast ein halbes Jahrtausend in unserer Gegend. Übrigens verläuft etwa hundert Meter südlich vom Gießhübel, wie dieser in Richtung Stadt, eine geheimnisvolle Röhrenleitung aus gebranntem Ton im Erdboden, von der vor Jahren ein Stück gefunden wurde und die man für römisch hält. In der Nähe waren Stücke von 'Wärmekacheln zu finden—womit noch nicht die Reste der Thermen gefunden zu sein brauchen, vielleicht aber Reste eines über dem Rosensteiner Hang nachgewiesenen römischen Gutshofes, der gewiß eine kleine Badeanlage besaß. Die hochzivilisierten Römer bauten Wasserleitungen, weil sie aus einem subtropischen, im Sommer fast regenlosen Gebiet kamen und dort die entsprechende Technik entwickeln mußten. Eine römische Wasserleitung holte das Wasser für Köln aus der Eifel (105 km). Erst im Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit trat der Materialtransport auf dem Kanal mehr in den Vordergrund. Zu allen Zeiten bot der künstliche Bach eine willkommene Möglichkeit, Wasser auf die immerhin 5 m über der Rheinniederung gelegene Terrasse des Hochufers zu leiten, auf der Speyer liegt. 

Der Name „Gi(e)shübel" kommt überall vor und wird etwa als „Berghügel" gedeutet (L 10, S. 13) vgl. „Geest", ,,Gaisberge", „Geislingen" usw. Es gibt aber noch eine andere uralte Wurzel: ges, die hier wohl eher vorzuliegen scheint und seit der Keltenzeit zur Bezeichnung von Gewässern bzw. sumpfigen Stellen diente (z. B. gesodunum L. 10a, S. 67). Die Speyerer Stadtgräben wurden ,,gieze" genannt, der Gieshübel, der diese Gräben im Mittelalter speiste, ,,giezo". Die Schreibweise mit einfachem ,,s" wäre demnach die ursprüngliche und richtige. Das mittelhochdeutsche Lexikon (Lexer) erklärt „gieze" als ,,fließendes Gewässer, schmaler und tiefer Flußarm, Bach". Der Name ist aus der Wurzel -spi (==Schmutz) zu erklären, also etwa ,, langsames, sumpfiges Gewässer" (L l0a, S. 149), wie auch die anderen, durchweg allen Bachnamen des Systems (Heimbach aus hem;==Moorwasser, Modenbach=modriger Bach). Die frühere Deutung von der Quelle her, aus der das Wasser „herausgespieen" wurde (ahd. spiwan, speien) ist schwer einzusehen, da die Franken, falls sie die Namensgeber gewesen sein sollten, wohl kaum in den Waldgebieten die Quellen studiert haben (und einen Pfälzerwaldverein gab es damals noch nicht...).

Die Wälder wurden erst im Mittelalter gerodet. Einen Versuch, den Bachnamen nicht von der Quelle, sondern vom Dorfnamen Spira her zu deuten (spiran==sperren, ,,Dorf an der Sperre über den Bach") unternimmt A. Doll in „Pfälzer Heimat" 11,2/1960, S. 60.


Verwendete Literatur:

Dr. Heinz Schimpf, in: Jahresberichte des Nikolaus von Weis Gymnasiums, Speyer (1966, 1972, 1975, 1978, 1983)

E. Christmann,' Die Siedlungsnamen der Pfalz (1953),

C. Wein, Geschichte der Stadt Speyer (1876)

J. Weber, Zur Entstehungsgeschichte des Speyerbaches (Pfälzische Heimatkunde, 1905)

Ph. Fauth, Hydrographisches vom Speyerbache (Pfälzische Heimatkunde, 1905)

Traditiones Possessionesque Wizenburgenses, hrsg. v. J. C. Zeiss, 1842

Fr. Sprater, Neue Feststellungen zur Geschichte Speyers (Palatina 9/1937)

C. Zeuss, Die freie Reichsstadt Speyer vor ihrer Zerstörung (1843)

Fr. Klimm, Der Kaiserdom zu Speyer (1953)

K. Engelhardt, Geschichtliche Erinnerungen von Speyer an Hand der Speyerer Flur- und Gassennamen (1934)

 H. Bahlow, Namenforschung als Wissenschaft (1955)

M. Bahlow, Deutschlands älteste Fluß- und Ortsnamen, erstmalig gedeutet aus verschollenem Wortgut europäischer Vorzeitvölker (1963)

Fr, J. Mone, Über den alten Flußlauf im Oberrheinthal, Badisches Archiv 1/1826

A. Doll, Zur Frühgeschichte der Stadt Speyer, Mitteilungen d. Histor. Vereins d. Pfalz 52/1954


Anfang 2006 bekam ich von Herrn Günter Otto Baumann (Rhodt unter Riedburg) einen interessanten Hinweis auf einen Beitrag zur Heimatgeschichte, verfaßt von Dr. L. Grünenwald (Gymnasialdirektor a.D.), der 1924 als Sonderdruck der Palatina veröffentlicht wurde. 

Herr Baumann schreibt: "Der Titel der Broschüre lautet "Wie Speyer seinen jetzigen Namen erhielt". In dieser Abhandlung geht Grünenwald sehr ausführlich auf die Geschichte und Namensgebung sowohl des Speyerbachs als auch der Stadt Speyer ein. Grünenwald, etwa 1856 in Dembach geboren, zog nach seiner Anstellung an das Gymnasium Speyer nach dort um, wo er 1937 starb. Er hat in seinem Leben viele Beiträge zur Heimatgeschichte verfaßt und veröffentlicht".

Sobald ich die Seiten eingescannt habe, werde ich sie hier online stellen. Einen ganz herzlichen Dank an Herrn Baumann für den Hinweis!

 

 

 

 

 

 

 

 


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